Fußball WM 2022 in Katar: persönlicher Boykott statt Euphorie?

17.11.2022

Auch wenn sich das offizielle Katar mittlerweile zur Wehr gegen die hartnäckigen Anschuldigungen aus Europa und der Welt setzt – die Vorzeichen für die in wenigen Tagen beginnende 22. Fußball-Weltmeisterschaft im arabischen Golfstaat könnten schlechter nicht sein. Noch nie gab es derart heftige Diskussionen um einen Austragungsort, noch nie war die Stimmung im Ausland – und damit auch in Österreich – im Vorfeld derart zurückhaltend wie heute. Die Kritiken an Katar – konkret hinsichtlich der Ausbeutung und Gefährdung der Arbeiter beim Stadionbau, an der Missachtung von Menschenrechten und Pressefreiheit als auch an der Haltung gegenüber Homosexuellen – übertreffen bei weitem die Bedenken bezüglich Russland als Gastgeber der WM 2018 – wie eine aktuelle MARKET-Studie belegt.

Dies wird bereits beim Blick auf das grundlegende Interesse an der WM klar. Bei den Europameisterschaften 2008 und 2016, für die sich auch Österreich qualifizieren konnte, waren es bspw. noch jeweils über 50 Prozent, die ein generelles Interesse an den Spielen bekundeten. Bei der letzten WM 2018 in Russland (ohne österreichische Beteiligung) kratzte man zumindest an dieser Marke. Der aktuellen WM 2022 in Katar sprechen hingegen nur noch knapp 30 Prozent eine gewisse Aufmerksamkeit zu, während ein Rekordanteil von 45 Prozent angibt, überhaupt kein Interesse für die WM zu hegen. Auffällig dabei vor allem auch die nahezu identen Zurückhaltungen in den einzelnen Altersgruppen.

Noch deutlicher wird die Aufregung, wenn es um die Bewertung von Katar als Gastgeberland geht. Während man sich bereits über Russland eher diplomatisch statt begeistert äußerte, hält man betreffend Katar mit der eigenen Meinung nicht hinter dem Berg. 56 Prozent – verstärkt dabei die Älteren ab 50 Jahren – deklarieren sich eindeutig und verurteilen die Vergabe und Durchführung der WM in Katar als schlichtweg falsch.

Gewisses Verständnis für die FIFA bzw. die Organisatoren geben aktuell nur 14 Prozent zu Buche – der Wert lag 2018 für das damals schon kritisierte Russland immerhin noch dreimal so hoch. Bemerkenswert dabei ist zudem, dass selbst zwei Drittel jener, die an der WM grundsätzlich Interesse zeigen, mit der getroffenen Entscheidung für Katar nicht d‘accord gehen.

Allerdings scheint man sich trotz dieser emotionalen Distanzierung selbst noch nicht ganz im Klaren darüber zu sein, wie man mit dem zu erwartenden Sport-Spektakel umgehen soll. Immerhin der Großteil von über 40 Prozent gibt an, die WM heuer bewusst boykottieren zu wollen, in dem man bspw. die Spiele nicht ansieht bzw. sich bei Merchandise-Artikeln zurückhält. Rund 30 Prozent wollen umgekehrt das Turnier aber doch eher in bisherigem Ausmaß verfolgen, während sich gut ein Viertel an dieser Stelle gar nicht deklarieren kann bzw. will.

Dabei spielt auch das persönliche Interesse an der WM an sich plötzlich durchwegs eine Rolle. Zwei Drittel der grundsätzlich WM-Affinen springen wohl über den eigenen Moralschatten und sitzen bei Anpfiff dann doch wieder vor dem TV-Gerät – trotz allfälliger Empörung und Gastgeberkritik. Es ist und bleibt ja immerhin eine Fußball-Weltmeisterschaft.

Weniger Bedenken ergeben sich für Herrn und Frau Österreicher übrigens hinsichtlich des oft auch beanstandeten Zeitraums der sogenannten „Winter-WM“. Zwar meint rund jede/r Fünfte, dass diese erste WM im (zumindest für europäische Verhältnisse) Winter zeitlich persönliche Nachteile mit sich bringt, explizit positiv sehen den Durchführungszeitraum allenfalls nur
7 Prozent. Allerdings geben letztlich knapp drei Viertel zu Protokoll, dass der Zeitraum im Großen und Ganzen keine wesentliche Rolle spiele bzw. man sich darüber keine Gedanken mache.

Übrigens, Fußball wird auch gespielt bei der WM in Katar. Und am Ende wird – allen Bedenken, Protesten und Verurteilungen zum Trotz – ein glücklicher (und natürlich verdienter) neuer Weltmeister stehen. Geht es nach den Österreicherinnen und Österreichern, wird dies am ehesten Brasilien sein, knapp gefolgt von Titelverteidiger Frankreich und dem „üblichen Mitfavoriten“ Deutschland.

Allerdings erkennt man auch an dieser Einschätzung: noch nie war die emotionale Distanz bei einer WM im Vorfeld so hoch, wenn über 40 Prozent an dieser Stelle keinen Sieger-Tipp abgeben wollen.

Dokumentation der Umfrage: MARKET INSTITUT, Basis: n=1.000 national repräsentative Online-Interviews in der Bevölkerung ab 16 Jahren; Befragungszeitraum: KW46 / 2022
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