Kommt die ÖVP jetzt aus der Schweigespirale heraus?

09.03.2023

Elisabeth Noelle-Neumann hat vor 50 Jahren einen Klassiker der Meinungsforschung veröffentlicht, die Theorie der Schweigespirale. Demnach hängt die Bereitschaft vieler Menschen, sich zu ihrer Meinung zu bekennen, von der Einschätzung des allgemeinen Meinungsklimas ab. Widerspricht die eigene Anschauung der als vorherrschend betrachteten Haltung, so gibt es Hemmungen, sie zu äußern. Und zwar umso stärker, je ausgeprägter der Gegensatz wird – daher der Begriff Spirale.

Genau dieses Phänomen könnte eine Rolle bei den Erhebungen der Marktforscher im Vorfeld der Landtagswahlen in Kärnten gespielt haben. Alle veröffentlichten Wahlstudien sowie zwei mir bekannte, nicht-veröffentlichte Erhebungen hatten deutliche Stimmenrückgänge bei der ÖVP-Kärnten ausgewiesen – ungeachtet dessen, dass bereits das letzte Wahlergebnis ein historisches Tief der ÖVP-Kärnten markiert hatte. Es kam anders. Ein Plus von 1,58 Prozentpunkten stand am Wahlabend fest und markierte damit ein Halten und Festigen der bestehenden Werte. Ob der zarte Zugewinn von 1,58 Prozent die tobende Begeisterung angesichts des Abschneidens am Wahlabend rechtfertigt, könnte eine Frage sein, die durchaus mit „Ja“ zu beantworten ist. Denn offenkundig bedeutet dieses Ergebnis ein Wende-Signal aus Kärnten für die Kanzlerpartei und damit einiges an Hoffnung, dass die bundespolitische Talfahrt (zumindest temporär) beendet ist. Diese Woche gehen auch die bundespolitischen Wahlpräferenzen für die ÖVP signifikant nach oben. Die Bundes-ÖVP konnte in der KW10 (Basis: 1.000 online Interviews repräsentativ für die Gesamtbevölkerung, Quelle: Lazarsfeld Gesellschaft) um insgesamt vier Prozentpunkte zulegen, die Bundes-SPÖ hat hingegen drei Prozentpunkte verloren. Übrigens: auch die FPÖ büßt diese Woche zwei Prozentpunkte ein, offenkundig hatte die Bevölkerung mit einem höheren Zugewinn der FPÖ-Kärnten gerechnet. Das aktuelle Bundesergebnis zeigt somit die Intensität der Wechselwirkungen zwischen Landtagswahl und allgemeiner politischer Stimmung in Österreich.

Doch zurück zu den Kärntner Landtagswahlen: Es gab im Vorfeld nur wenige Umfragen – konkret eine Befragung von Peter Hayek im Auftrag der „Kleinen Zeitung“ und eine der Lazarsfeld Gesellschaft im Auftrag von „oe24“ bzw. „Österreich“. Zwei weitere Erhebungen sind bekannt, wurden allerdings als Parteiauftrag durchgeführt und in der Folge nicht (bzw. nur teilweise) veröffentlicht. Also betrachten wir Hayek und Lazarsfeld näher. Beide Umfragen (übrigens auch jene im Parteiauftrag) hatten einen deutlichen Rückgang der ÖVP zu Buche stehen. Da lagen wir falsch, vermutlich aufgrund einer Schweigespiralen-Tendenz, die bisher bei der ÖVP völlig untypisch und vermehrt nur von FPÖ-Wählern bekannt war. Ansonsten lag Lazarsfeld bei allen übrigen Parteien im korrekten statistischen Schwankungskorridor. Ich habe mehrfach in „oe24“ explizit darauf hingewiesen, dass der „Worst Case“ (!) für die SPÖ bei 39 Prozent liege. Die Hayek Wahlschätzung war somit klar weniger präzise und bei insgesamt drei Parteien (SPÖ, ÖVP, Team Kärnten) auch außerhalb der statistischen Toleranz.

Noch eine kurze Replik zur NÖ-Landtagswahl. Die Lazarsfeld als auch die Hajek-Resultate in NÖ befanden sich innerhalb der statistischen Schwankungsbreite.

Zuletzt noch zur Bundespräsidentenwahl: die Lazarsfeld Gesellschaft erzielte hier mit einer – offenkundig verpöhnten – reinen Online-Stichprobe eine deutlich bessere Prognose als Hajek mit dem vielgelobten Mixed-Mode, also der Stichprobendurchmischung von Online-Interviews mit CATI oder CAPI. Zwei Prognosewerte (konkret die Hochrechnung von Walter Rosenkranz und Gerald Grosz) waren bei Hajek wiederum außerhalb der statistischen Toleranz.

Fazit: ich teile die Meinung meines Kollegen Wolfgang Bachmayer, dass die konkrete Erhebungsme-thode, also ob Online, CAPI bzw. Mixed Mode, kein relevanter Faktor für die Wahlforschungs-Qualität ist. Die ausschließlich in Österreich betriebene Ausgrenzung von reinen Online-Stichproben für die Wahlprognosen ist fachlich nicht zu rechtfertigen.

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