Die Paul Lazarsfeld Gesellschaft für Sozialforschung (PLG) – ein Vermächtnis Heinz Kienzls
Lazarsfeld und Kienzl
Die Gründung der Paul Lazarsfeld Gesellschaft für Sozialforschung (PLG) im Jahr 1979 geht auf die Initiative von Dr. Heinz Kienzl (1922-2020) zurück.
Kienzl hatte das Bedürfnis, seinen verstorbenen persönlichen Freund Paul Lazarsfeld durch eine soziologische Gesellschaft zu ehren, die das Werk des Jahrhundertforschers in Wien fortsetzt.
Lazarsfelds Lebensmittelpunkt lag nach seiner Emigration in den USA. Nach dem Krieg kam er aber immer wieder für verschiedene Angelegenheiten nach Europa, so hatte er zeitweilig eine Gastprofessur an der Pariser Sorbonne inne. Auch nach Wien kam er oft auf Besuch, teils aus Verbundenheit zur alten Heimat, teils zur Mitgestaltung wissenschaftlicher Institutionen, die ihm am Herzen lagen. Er gehörte z.B. neben Oskar Morgenstern zu jenen Emigrantenpersönlichkeiten, die sich in die Gründung des „Instituts für Höhere Studien“ (IHS) einbrachten. Heinz Kienzl holte ihn bei diesen Gelegenheiten vom Flughafen ab und zwischen den persönlichen Freunden entstand ein angeregter wissenschaftlicher Gedankenaustausch.
Heinz Kienzl starb im Alter von 97 Jahren nach einem Sturz in seinem Haus in Wien-Hietzing am 29. Jänner 2020. Seine Leistungen für die Republik als Leiter der volkswirtschaftlichen Abteilung des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) und als Generaldirektor und später Vizepräsident der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) sind enorm und prägend. Kienzl wird zutreffend als „Vordenker der Sozialpartnerschaft“, „Verfechter der Hartwährungspolitik“ (Frey 2020) und „Europäer der ersten Stunde“ (Zöllner 2012) bezeichnet.
Zum „Wegbereiter der Sozialwissenschaften in Österreich“ (Frey 2020) wurde er unter anderem durch besagte Gründung der Paul Lazarsfeld Gesellschaft (PLG), aber auch dadurch, dass er viele wissenschaftliche Impulse, die er in den Gesprächen mit seinem Freund Paul Lazarsfeld erfuhr, aufnahm und in Österreich einführte.
Paul Lazarsfeld Gesellschaft 1979-2018
Kienzls wissenschaftliches Team der Lazarsfeld gewidmeten Forschungsgesellschaft musste sich durch wissenschaftliche Projektaufträge finanzieren. In der dadurch resultierenden Projektorientierung und manchmal auch Prekarität ähnelte die Situation der PLG durchaus jener, die auch Lazarsfeld für seine Forschung vorfand, der oft die feste institutionelle und finanzielle Fundierung mangelte. Klaus Allerbeck, Professor an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main, beschreibt die Situation so:
„…denn Lazarsfeld musste ohne all diese Dinge auskommen, Organisation ad hoc schaffen, fast jedes Projekt mit dem anschließenden finanzieren und zugleich fast vorspiegeln, auf gesicherter institutioneller Grundlage zu stehen“ (Allerbeck 2007, 16).
Selbstredend konnte die „alte“ Paul Lazarsfeld Gesellschaft für Sozialforschung (PLG) ihre Themen nicht immer völlig frei wählen, sondern musste sich manchmal nach der „Decke strecken“. Dennoch war es ihr über fast vier Jahrzehnte möglich, relevante Fragen sozialwissenschaftlich in Projekten zu bearbeiten und dabei oftmals eine wissenschaftliche Pionierrolle in Österreich einzunehmen.
Zwei Beispiele, die auf Ideen Heinz Kienzls zurückgehen, erscheinen dabei besonders beachtenswert und verdienstvoll: Eine Studie im Auftrag der Oesterreichischen Nationalbank unter Leitung des mittlerweile verstorbenen Botschafters Dr. Albert Rohan, in welcher ein Vergleich von „Korruption“ aufgrund von empirischen Daten aus ganz Mittel- und Osteuropa stattfand, wurde in ganz Österreich medial stark beachtet. Innovativ war auch die Umsetzung eines „Pflegemonitorings“ gemeinsam mit dem Sozialministerium, in dem in Umfragen die Zufriedenheit mit Pflegeleistungen im ganzen Bundesgebiet untersucht wurde. Ein Blick auf die aktuelle politische Diskussion, in der „Korruption“ und „Pflege“ eine prominente Rolle spielen, zeigt, dass die PLG schon sehr frühzeitig in der Lage war, relevante Themen zu identifizieren.
Keine extern finanzierte Forschungsgesellschaft kann fast vierzig Jahre lang Bestand haben, wenn sie nicht beachtliche Ergebnisse liefert. Dennoch wurde die „alte“ Paul Lazarsfeld Gesellschaft (PLG) im August 2018 durch eine freiwillige Vereinsauflösung beendet, ihren vierzigsten Geburtstag erlebte die Organisation knapp nicht. Die Gründe dafür waren einerseits persönliche Entscheidungen langjähriger wissenschaftlicher Mitarbeiter im Sinne einer beruflichen Umorientierung und andererseits die immer schwierigeren Aussichten für projektfinanzierte Forschungsgesellschaften. Die Paul Lazarsfeld Gesellschaft für Sozialforschung (PLG) hat die österreichische Forschungslandschaft von 1979 bis 2018 geprägt und kann auf das Erreichte stolz sein.
Paul Lazarsfeld Gesellschaft – Neugründung 2019
Dass Wien als wichtige frühe Wirkungsstätte Lazarsfelds nunmehr keine der Pflege und Fortführung seines Werkes gewidmete soziologische Gesellschaft mehr haben sollte, wurde von vielen Sozialforschern als Defizit erlebt. Einer davon war Prof. Dr. Werner Beutelmeyer, der mit dem Linzer Institut „market“ eines der wichtigsten Markt- und Meinungsforschungsinstitute des Landes aufgebaut hat und ein Verehrer Paul Lazarsfelds sowie Freund und Weggefährte Heinz Kienzls ist. Auf seine Initiative hin erfolgte die Neugründung der Paul Lazarsfeld Gesellschaft für Sozialforschung (PLG) im Februar 2019. Unterstützung fand er durch Dr. Patrick Horvath, Sozialwissenschafter und Absolvent der Diplomatischen Akademie Wien, der mehr als 13 Jahre lang ein enger Mitarbeiter Heinz Kienzls war. Im Juli 2019 fand die erste Generalversammlung im oberösterreichischen Großraming statt, wo Beutelmeyer und Horvath zum Obmann bzw. Direktor der Paul Lazarsfeld Gesellschaft für Sozialforschung (PLG) gewählt wurden und seitdem ein handlungsfähiger Vorstand im Amt ist.
Juristisch gesehen stellt die „neue“ PLG, die ihren Sitz ebenfalls in Wien hat, einen Neuanfang gegenüber der „alten“ dar und auch personell wird auf ein neues wissenschaftliches Team gesetzt. Inhaltlich gibt es sowohl Anknüpfungen, als auch Neuerungen.
Der Gründer der Paul Lazarsfeld Gesellschaft (PLG) im Jahre 1979 Dr. Heinz Kienzl hat die Neugründung der Paul Lazarsfeld Gesellschaft durch zwei seiner engen Mitstreiter noch miterlebt, hat sie befürwortet und unterstützt und konnte als erster Ehrenpräsident gewonnen werden. Durch seine seinerzeitge Freundschaft mit Paul Lazarsfeld stellte er in der Neugründungsphase die „Brücke“ der PLG zum Jahrhundertforscher her.
Paul Lazarsfelds und Heinz Kienzls Vermächtnis sollen und werden weiterleben.
Literatur und Quellen:
Eric Frey (2020) Heinz Kienzl, Architekt von Österreichs Wirtschaftspolitik, gestorben, verfügbar unter: https://www.derstandard.at/story/2000113925074/heinz-kienzl-architekt-von-oesterreichs-wirtschaftspolitik-gestorben, 8.7.2020.
Allerbeck, Klaus (2007) Paul F. Lazarsfeld. In: Kaesler, Dirk (Hg.) Klassiker der Soziologie 2. Von Talcott Parsons bis Anthony Giddens. Nördlingen, 7-23.
Peter Zöllner (2012) 90 Jahre Heinz Kienzl – Europäer, Gestalter, Forscher und Mensch. In: Horvath, Patrick et al. (Hrsg.) Die „Vision Zentraleuropa“ im 21. Jahrhundert. Festschrift zum 90. Geburtstag von Heinz Kienzl. Wien, 190-193.
Wo nicht anders zitiert: Persönliche Gespräche mit Dr. Heinz Kienzl im Laufe des Juli 2019
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Wien, im Juli 2020
Rückfragen: Dr. Patrick Horvath, Mobil 0650/7330140, office@wiwipol.at