Die Veroberflächlichung der Jagd schreitet voran

19.09.2024

Vor genau 13 Jahren, anlässlich einer Festveranstaltung der BOKU wurde ich 2011 von Prof. Klaus Hackländer gebeten einen Vortrag über die Zukunftsperspektiven der Jagd zuhalten, also zu diskutieren, wie die Jagd 2030 voraussichtlich aussehen könnte. Die damals von mir ausgearbeiteten und von konkreten Umfrageergebnissen abgeleiteten Thesen lösten einige Diskussionen und Betroffenheit unter Funktionären in der Jägerschaft aus.1)

Inzwischen ist mehr als die Halbzeit für diese Prognosen vergangen: Damit Anlass genug, sich mit dieser Fragestellung nochmals zu beschäftigen. Wieder liegen den nachfolgenden Ableitungen aktuelle Umfragedaten einer österreichweiten Jägerbefragung zugrunde.2)
Beginnen wir mit zwei Thesen aus der Studie von 2011:

These 1: Es wird schwieriger für Anliegen der Jagd. Verstärkt wird diese kritische Entwicklung auch durch die Jäger. In diesem gesellschaftlichen Segment gibt es ebenfalls massiven Struktur- und Wertewandel.

These 2: Zunächst einmal dürfte der prozentuelle Anteil an Jägern abnehmen, für die die Jagd die zentrale Lebensaufgabe ist. Jagd als Lebensleidenschaft mutiert 2030 eher in Richtung Freizeitbeschäftigung. Die Jagd wird dann bei der Mehrzahl der Jäger ein Hobby unter mehreren Freizeitbeschäftigungen sein.

Die Ergebnisse der Einstiegsfrage haben es in sich. Während österreichische Jäger 2011 noch zu 42 Prozent die Jagd als „Lebensaufgabe“ verstanden haben, geben dies aktuell nur mehr 14 Prozent so zu Protokoll. Jäger sehen die Jagd immer mehr als eine Freizeitbeschäftigung. Die Jagd als „Lebensaufgabe“ ist damit längst passé. Jagd wurde in den letzten Jahren zunehmend zu einer von mehreren Freizeitbeschäftigungen und hat damit bei vielen Jägern beträchtlich an Involvement verloren. Die Veroberflächlichung der Jagd schreitet voran.

Vor diesem Hintergrund verständlich, dass damit die „Einladungsjagd“ sehr an Bedeutung gewonnen hat. Während vor 13 Jahren 37 Prozent von Freunden zur Jagd eingeladen wurden, ist es inzwischen die Mehrheit (51 Prozent). Jagdeinladungen haben damit die letzten Jahre massiv an Bedeutung gewonnen. Die Mitarbeit in Genossenschaftsjagden hat sich hingegen deutlich reduziert, konkret von 69 Prozent 2011 auf 34 Prozent 2024. Wenig Veränderungen gibt es bei Revierpachtung und Eigenjagd. Unverändert niedrig sind die Ergebnisse für Jagdreisen.

These 3: Der eher freizeitorientierte Zugang zur Jagd 2030 dürfte auch zur Folge haben, dass das Jagdwissen eher abnimmt. Die Zukunftsjäger 2030 sind in nahezu allen abgefragten Themenfeldern weniger informiert als der derzeitige Durchschnittsjäger. Der Megatrend zur Oberflächlichkeit dürfte bis 2030 damit auch die Jagd erfassen. Besonders stark dürften die Wissensdefizite bei der Jagdkultur, aber auch im handwerklichen Bereich, … sein.

Gerne hoch gehalten und zum Teil folkloristisch präsentiert wird das jagdliche Brauchtum und Handwerk von der Jägersprache bis zum Liedwerk. Doch auch hier findet sich eine besorgniserregende Erosion. Bis auf die Falknerei sind alle Trendwerte stark zurück gegangen. Mit anderen Worten: Handwerk und Brauchtum werden 2024 als deutlich weniger wichtig als noch 2011 eingestuft. Während die Nachsuche und die Weidgerechtigkeit 2011 noch knapp bei 90 Prozent Relevanz für die Jägerschaft hatten, blicken wir jetzt auf ernüchternde aktuelle Werte. Der Nachsuche wird inzwischen deutlich weniger Aufmerksamkeit und Wichtigkeit zuteil. Die viel beschworene Weidgerechtigkeit, ein an sich unglückseliger Begriff, weil er Blick auf die erforderliche jagd- handwerkliche Fertigkeit mehr verstellt als erhellt, verliert in 14 Jahren um 28 Prozent an Relevanz. Es ist „eh wurscht“- sollte nicht zur Grundhaltung in der Jagd werden. Wir sind aber auf dem besten Weg dazu.

Zunehmend unter Druck dürfte auch das Jagdhundewesen kommen. Hier ist neben der „Streckenlegung“ der stärkste Rückgang in der Wichtigkeit festzustellen (jeweils minus 32 Prozent). Da stellen sich zwei Fragen: Warum werden Nachsuchen überwiegend auf Geweihträger durchgeführt? Wie funktionieren künftig Nachsuchen ohne Jagdhunde?

These 4: Der Zukunftsjäger 2030 hat weniger Zeit für die Jagd. Um dennoch erfolgreich zu sein, muss er Jagdmittel einsetzen, die derzeit (2011!) noch als illegal gelten. Konkret geht es um den Einsatz von Kirrungen, Jagd vom KFZ aus, die Verwendung von Nachtsichtgeräten sowie die Jagd zur Nachtzeit auf Reh- und Hochwild.

2011 haben Verwendung von illegalen Jagdmitteln gefragt. Diese Thematik hat sich zum Teil in den letzten 13 Jahren rechtlich verändert, dennoch sind die Antworten auf diese projektiv gestellte Frage sehr interessant. Nacht(ziel)sicht ist inzwischen teilweise legalisiert und im Trendvergleich massiv nach oben geschnellt von 21 auf 51 Prozent. Erfolge bei Kirrungen: Hier ist der Wert von 66 Prozent auf 40 Prozent gesunken. Es dürfte offenkundig weniger gekirrt werden, möglicherweise in Folge von strengeren Kontrollen. Deutlich zugenommen hat allerdings die verbotene Nachtjagd auf Reh- und Hochwild.

Jagd vom KFZ aus und die extremen Weitschüsse sind im Vergleich eher unverändert geblieben. Auf niedrigem Nenn-Niveau unverändert zeigt sich die Scheinwerfer-Jagd – verständlich, denn es gibt ja Restlicht und Wärmebild-Technik.

These 5: Vor diesem Hintergrund wird es wahrscheinlich, dass der Jäger 2030 weiter an Kompetenz und Ansehen in der breiten Öffentlichkeit verliert. Dazu kommt, dass die Bevölkerung Wald vor Wild in der Prioritäteneinstufung sieht und der Jäger bis dato ein recht wenig ausgeprägtes Profil als „Natur-Verantwortlicher“ besitzt.

Letztere These hat der Anblick 2023 in der Juni Ausgabe ausführlich behandelt. Es ist wenig erfreulich, für die Jagd aber Fakt: Die Zustimmung zur Jagd nimmt seit einigen Jahren in der Bevölkerung kontinuierlich ab. Die Bevölkerungsanalyse bestätigt die Fortsetzung des Negativ-Trends für die Jagd. Bis 2030 dürfte dieser jagdkritische Trend zum Kippen der Stimmung gegenüber der Jagd führen. Dann spätestens werden die Jagd-Kritiker in Österreich in der Mehrheit sein und die Politik bedrängen, neue – vermutlich sehr enge – Spielregeln für Jäger zu definieren. 3)

Und welche Legalisierungen bzw. Möglichkeiten wünschen sich Österreichs Jäger zusätzlich? Es liegt die verstärkte Nutzung der Nachtjagd und/oder in Kombination mit der „zeitsparenden“ Kirrungsjagd ganz vorne. Auffällig ist die erhöhte Wunschdichte bei der Bogenjagd und auch die Präferenz für die handwerkliche Beherrschung der eigenen Technik im Weitschuss-Bereich.

Welche Anforderungen stellen die Jäger an sich selbst? Auch diese Fragestellung gibt einen interessanten Einblick in die Veränderung des „Tätigkeitsprofils“. Die Ergebnisse dazu wurden vor 10 Jahren abgefragt.4)

Zunächst fällt eine Verschiebung des Antwortniveaus auf. Aktuell legen sich die Jäger die fachliche Latte niedriger als noch vor einem Jahrzehnt. Unverändert auf Platz Eins im Ranking, liegt die sichere Handhabung der Waffe. Wer „zu“ selten schießt, kann nicht ferm im Umgang mit der Waffe sein! Und auf Platz zwei folgt die „ehrliche Angabe über den Abschuss“. Schmunzeln. Offenkundig bestehen immer noch zum Teil erhebliche Diskrepanzen zwischen Papier und Revier. Der dritte Platz im Ranking ist eine Erfolgsgeschichte: Die gute Trophäe hat an Bedeutung verloren und ist nicht mehr das Wichtigste! Diese Haltung hat sich von 10 auf 45 Prozent nach oben entwickelt. Vor diesem Hintergrund sollten die jährlichen Trophäenschauen neu bewertet werden, denn diese dürften ebenfalls an Bedeutung eingebüßt haben.

Im unteren Bereich der Anforderungen finden sich weitere wichtige Themen. Die eigenständige Wildbeschau gewinnt sogar an Anforderung. Die Wildbret Selbst-Vermarktung präsentiert sich stabil. Und der reinen Trophäenjagd wird eine klare Absage erteilt.

Gemeinsam mit der Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg/Neckar soll diese Studie auch im Süddeutschen Raum durchgeführt werden, um eine länderübergreifende Betrachtung anstellen zu können, denn der Wandel in der Jagd zeigt in Deutschland ein noch deutlicheres Veränderungstempo. Mit anderen Worten: Jagdliche Entwicklungen in Deutschland oder beispielsweise den Niederlanden oder Schweden haben durchaus auch eine Benchmark Funktion für Österreich. Und dann sollten wir auch Quervergleiche zu anderen Leidenschaften ziehen, beispielsweise der Fliegerei. Wer eine Privatpiloten-Lizenz erwirbt, muss ein Mindestmaß an Flugstunden jährlich absolvieren und alle zwei Jahre sind Proficiency-Checks, Skill Tests zur Verlängerung der Fluglizenz zu absolvieren und eine regelmäßige medizinische Untersuchung der Flugtauglichkeit (Medical) ist eine Selbstverständlichkeit, und zwar ab 60 Jahren ist die gesundheitliche Flugfitness sogar jährlich zu erbringen. Hinkt der Vergleich? Bei der Fliegerei geht´s ja um viel, und zwar um Leben und Tod des Piloten bzw. seiner Passagiere. Und bei der Jagd? Geht’s da nicht auch um Leben und Tod? Aber eben nur von Wildtieren.

Ein Resumee könnte lauten: Unser derzeitiges Jagd-System produziert Jagdscheinbesitzer, aber viel zu wenig Jäger. Die Veroberflächlichung der Jagd schreitet voran, das Handwerk wird nicht mehr erlernt. Artenkenntnis schwindet! Technik als Handwerksersatz, zum Teil utopische Abschusszahlen fokussieren den Blick der Jungen auf das Schalenwildmanagement.

Die kleine, feine Jagd auf Ringeltaube, Schnepf, Haselhahn, aber auch auf Marder, Dachs und Co wird verlernt – die Jagd wird weniger bunt. Erlebniswert sinkt! Handwerk verschwindet! Die Auch-Jäger werden mehr! Die Jagd als beschauliche Liebhaberei und ihr philosophischer Gehalt sind Vergangenheit. Man muss es den Jungen erzählen, zeigen und sie auch lassen.

Und vielleicht muss es einfach aber auch so sein, dass die Jagd mit ihrer Zeit geht.
Glücklich jene, die es noch spüren und erleben dürfen und können, was Jagd an ursprünglicher Vielfalt imstande ist zu schenken.

1) Zukunftsvision 2030: Wie kann Jagd in zwei Dekaden aussehen; Prof. Dr. Werner Beutelmeyer/market Institut; Vortrag an der Boku-Wien anlässlich der Zukunftskonferenz „10 Jahre Kriterien und Indikatoren einer nachhaltigen Jagd“ am 25. November 2011
2) Österreichweite JägerInnenbefragung, n=400-strukturgewichtet; Erhebungszeitraum März bis Mai 2024; Erhebungsmethode: Hybridbefragung auf Basis von Online und CATI-Interviews
3) Zustimmung zur Jagd sinkt weiter; Anblick Juni 2023
4) Was kann der Jäger; Anblick März 2014

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